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Dienstag, März 05, 2013

Verschwunden in Taiwan

Die Suche nach dem Englischlehrer Fred Frontier

Als ich im Februar 2004 nach Taiwan kam, bestimmten drei westliche Gesichter für mich das Bild der Ausländerszene in Taiwan. Einmal war es der stämmige "MaKe", ein Deutsch-Ukrainer, der glaube ich Kanadier war vom Pass her und in den Samstag-Abends-Shows präsent war, wo er als einer der zahlreichen Co-Entertainer von Showstar Jackie Wu auf einem Stuhl saß und mit seiner Glatze, mächtigem Vollbart und seiner kräftigen Körperfülle einen großen Kontrast zu den Taiwanern und dem kleinen Männlein Jackie Wu abgab. Und ich kam nicht umhin festzustellen, dass er irgendwie den Clown für die Leute gab. Aber wenn man bezahlt wird dafür, ist es natürlich auch wieder in Ordnung. Wahrscheinlich ist "den Clown machen" auch nur ein anderer Ausdruck für "Entertainer sein". Leider nahm es später mit MaKe ein tragisches Ende im Straßenverkehr: http://osttellerrand.blogspot.com/2013/01/was-wurde-eigentlich-aus.html

 Eine der Landmarks, die man dort besucht. Alte Fotos von der analogen Minolta, vom Fotogeschäft eingescannt. Die Fotos sind aus dem Jahre 2005.

Der zweite Ausländer, der enorme Medienpräsenz hatte, wenn auch nur für kurze Zeit in den Nachrichten, war ein kanadischer Englischlehrer namens Professor Paul C., der einer philippinischen Dienstmagd bei einer sexuellen Belästigung beistehen wollte und dafür letztendlich von der Polizei auf einen Stuhl gefesselt, geschlagen und dann noch von einer weiblichen (!) Parlamentsabgeordneten vor laufender Kamera geohrfeigt worden ist, bis er weinte. Taiwahn at its best, wohlgemerkt mit H in der Mitte. Ein ziemlich bizarres Land sei es wohl, dachte ich damals (Vorfall kürzlich auch hier von mir erwähnt: http://osttellerrand.blogspot.com/2013/01/tanzbar.html;

 Jeder macht hier Fotos

Der dritte Ausländer mit großer Medienpräsenz war aber Fred Frontier. Als ich mich in Ausländerforum anmeldete damals, gab es da einen riesigen Thread um die Suche des vermissten Fred, die von einigen Expats mit religiösem Eifer betrieben wurde, während andere die Suche mit zynischen Kommentaren begleiteten. Ich muss gestehen ich hielt das Ganze anfangs für eine Art Schnitzeljagd, wo eine fiktive Person gesucht wurde, wie in einem Rollenspiel und der Gewinner vielleicht eine Kiste Heinecken bekommen sollte, so bierseeling unernst kamen mir die Bemühungen der Englischlehrerszene auf Forumosa.com vor und schließlich, wenn jemand namens Fred Frontier verloren geht, wobei der Nachname an die "Final Frontier", die letzte wilde Grenze also erinnert, der kann einfach keine reale Person sein. Verband man die Frinal Frontier im englischen Sprachgebrauch doch mit dem wilden Westen, Alaska oder auch dem Weltraum.

 Hier würde eine moderne DSLR bessere Kontraste erlauben, Papierbildfilm und der Einscannprozess kosten hier viel Bildynamik.

 Wilde Natur hat Taiwan zu bieten, das vergisst man gerne im städtischen Taipei.

 Dieses eine Foto hier  war zwar auf dem selben Film von mir und passt prima in die mysteriöse Bergwelt, zeigt aber wohl den Garten unseres damaligen Urlaubsbungalows in Indonesien muss ich zugeben.

Doch weit gefehlt, Fred Frontier war real, hatte den Nachnamen Frontier (Grenze) erst in seiner Alaskazeit angenommen und war wirklich nach Taiwan gezogen um dort Englischlehrer zu werden und dann bei einem Ausflug in die Berge um Hualien und die Taroko-Schlucht verloren gegangen. Eine Organisation namens "Overseas Americans in Taiwan", also eine angebliche Vertretung der Überseeamerikaner*, bemühte sich enthusiastisch um Fred und kritisierte die taiwanischen Polizeikräfte ob ihrer offenbaren Inaktivität sehr. Allerdings erwähnten andere Amerikaner, dass die diese Vertretung trotz Sternenbanners und Weißkopfadler im Logo nur aus einer einzigen Person bestehen würde, einem anderen Englischlehrer. "Was für merkwürdige Menschen sich hier doch herum treiben", dachte ich damals. Ein Relikt dieser Nichtorg gibt es immer noch, eine Webseite, die dem Verschwinden von Fred gewidment ist, von damals erhalten im Stil der frühen 2000er Jahre: http://overseasamericans.tripod.com/overseasamericansintaiwan/id23.html

Die Flüsse sind fast immer reißende Ströme, bei denen das Wasser förmlich durch-gurgelt, schwimmen kann man hier nicht, wenn man hinein gerät. Zu allem Überfluss ist solches Wasser, was alle möglichen Metalle und Gestein auswäscht aus den Felsen oft auch toxisch.
Nanu, steht hier eine Gestalt am rechten Felsen? Siehe ganz unten!
Alle Bilder lassen sich durch zweimaligen Mittelmausklick etc. beim Firefox vergrößern. Auschnittsvergrößerungen ganz unten. 


Das Verschwinden von Fred, der polnisch-italienischer Abstammung war, war also tödlicher Ernst, bis heute ist er nicht wieder aufgetaucht und Wikipedia hat ihm eine Webseite gewidmet: http://en.wikipedia.org/wiki/Disappearance_of_Fryderyk_Frontier. Damals gab es auch noch seine persönliche Webpage, denn Blogs gab es damals wohl noch nicht (viel), eine klassische Geocities-Homepage, wo er unter anderem seinen Nippelring zeigte und von der Mondgöttin schwadronierte. Fred war ein junger langhaariger Mann mit eindeutigem 70er-Hippies-Vibe. Etwas gespenstisch ist heute diese andere erhaltene Webseite, die ihn ganz und gar un-hippiemäßig mit seiner Mutter zeigt und ankündigt, er und seine Mutter würden bald nach Taiwan ziehen: http://www.oocities.org/theezine/fredpics/tw.html


 Hier hatte meine Frau mich rechts im Vordergrund aufgenommen, ich habe mich wieder heraus retouchiert, so ist das Bild viel hübscher.


Wie war nun Fred verschwunden, was war geschehen? Die Ausländerszene und seine Mutter hatten in etwa folgendes Geschehen rekonstruiert, das ich im folgenden aus dem Gedächtnis wiedergebe: Fred war aus Taipei zu einer Bergtour nach Hualien aufgebrochen, hatte allerdings seine Bergschuhe in seinem Zimmer/Apartment stehen lassen, wo sie später gefunden worden. Wohl gemerkt wurde alles was sein Verschwinden betraf nur von seiner Mutter gefunden, die in den folgenden Jahren immer wieder Taiwan besuchen sollte, um ihren Sohn zu finden, oder eben von ihn suchenden Expats. Nie von der Polizei Taiwans, die wohl nie etwas unternommen hat in der Angelegenheit. Fred hatte dann in einer Jugendherberge in den Bergen übernachtet. Als seine Mutter dort auftauchte auf ihrer Suche, gab es von ihm zunächst keine Spur, dann jedoch tauchte plötzlich sein Gepäck auf in einem Aufenthaltsraum, wo es gerade eben noch nicht gelegen hatte. Die Mutter stritt sich wohl heftig ohne eine gemeinsame Sprache zu haben mit den Herbergsbetreibern und das Mysterium der von selbst herbei laufenden Tasche wurde nie geklärt. Zu allem Überfluss tauchte erst Tage später seine Brieftasche wieder auf, unter dem Kopfkissen liegend in einem Zimmer, das schon mehrfach vermietet worden war in der Zwischenzeit. Alles eigenartig aber meiner Meinung nach durch den Umstand einer Sprachbarriere und der Konfrontationsvermeidungsstrategie der Hostel-Betreiber zu erklären, die auf taiwanische Art eher etwas irgendwo stickum unterschieben als es offen zurück zu geben. Eine buddhistische Gemeinde in der Gegend soll er noch besucht haben und die Auländergemeinde erging sich eine Weile in merkwürdigen Theorien von religiösen Wahnsinnigen, die den armen Kerl vom Leben zum Tode gebracht hätten - völliger Unsinn, wenn man friedliche buddhistische Gemeinden  in Taiwan kennt - ist ja nicht der Libanon hier.

 An solchen Orten bekommen Besucher oft heißen Ingwertee von netten Mönchen.

Wer die Gegend kennt weiß, wie unwegsam die Berge dort abseits der alten Bergstraßen sind, die durch die Felsen getrieben wurden und teilweise heute reine Fußwege sind - weil man neue breitere Fahrbahnröhren für den Verkehr angelegt hat mittlerweile. Man sieht abseits dieser alten Straßen nur Fels und krüppelhafte, aber dichte Vegetation. Immer wieder sind in den letzten Jahren dort Menschen verschütt gegangen und verspätet wieder aufgetaucht. Ein Deutscher verschwand dort einst für drei Tage, wollte die Pfade der alten taiwanischen Kopfgeldjäger verfolgen, die aber nicht mehr vollständig waren (nicht gepflegt worden in all den Jahrzehnten, siehe an!) und verlief sich und überlebte nur dank Marsriegel im Gepäck. Muss er mitgebracht haben aus Deutschland, die gibt es hier nicht.

 Hier sieht man die noch nicht fertige neue Fahrbahnröhre links, die alte überfüllte wird dann bald zum Fußweg für Besucher

 
Nie die Wege verlassen!

 Erst neulich ist ein japanischer Tourist an einer solchen Stelle über die Brüstung gefallen und zu Tode gekommen

Zweimal zeigte das Fernsehen erschöpfte Gruppen die aus der Bergwelt wieder auftauchten, einmal unrasierte Ausländer und einmal eine wie immer bartlose Taiwanergruppe. Man hatte nur deshalb wieder raus gefunden, weil das Handy irgendwo wieder Signal bekommen hatte und man Hilfe rufen konnte. Fred hingegen tauchte nie wieder auf, auch ein taiwanischer Wahrsager konnte nicht helfen, den seine Mutter für Geld engagiert hatte. Fred und seine ihn über die Jahre verzweifelt suchende Mutter bleiben die beiden tragischen Gestalten Taiwans und er ein bisschen ein Mysterium. Ich wünsche seiner Mutter, dass er eines Tages mit langem Bart und einem Hass auf Eichhörnchenfleisch wieder auftaucht, aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben. 

Alte Fahrbahn als Fußweg. Man sieht, wie klein der Mensch in dieser Kulisse wirkt.

Da schauderte es mich beim Betrachten der alten Fotos: Steht da eine geisterhaft durchscheinende Gestalt im reißenden Wasser (in Rot)?


Unheimlich....

Eine schattenhafte Gestalt mit Gesicht! Wenn ich das meiner Frau zeige, fährt sie nie wieder da hin...




* Nicht zu verwechseln mit dem realen AIT, dem American Institute Taiwan, der inoffiziellen Botschaft der USA in Taiwan

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