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Donnerstag, Dezember 06, 2012

Wichtige Mission in den Süden

Selten habe ich den Konflikt zwischen dem Blogger, der die fremde Kultur Taiwans hier in Form einer persönlichen Reportage darstellen will und der persönlichen Einbindung in den Alltag so sehr gemerkt wie dieses Mal. Während der Blogbericht Distanz braucht, ist man als Agierender unmittelbar Teil des Geschehens. Schwierig das Aufzulösen. Ich will den Spagat trotzdem mal versuchen.

Eine sehr nette Kollegin vom Vertrieb, eine junge Frau in den 30ern, ist leider an Krebs erkrankt, wie Frau und ich erst kürzlich erfahren haben. Eine andere Kollegin vom Vertrieb, nebenbei gesagt hochschwanger, meine Frau und meine Wenigkeit brachen daher mit dem Ludigelmobil in den tobenden wochenendlichen Verkehr auf, um die Kollegin zunächst im Krankenhaus zu besuchen. Ich am Steuer, meine Frau wie Captain Ahab Anweisungen vom Beifahrersitz gebend und die Kollegin auf der Rückbank kichernd ob der Energie meiner Frau, die sich immer wieder beschwerte, ich würde zu langsam fahren. Dank des GPS-Naviprogramms auf dem iPhone der Kollegin fanden wir das Krankenhaus schnell und nahmen die Kollegin mit. Als wir dann alle vier im Auto waren, war das Ziel Südtaiwan, genau gesagt ihre Heimatstadt (Shuisheng hieß die glaube ich), wo sie ihren Bruder besuchen und einen Tempel aufsuchen wollte. Dass bestimmten Tempeln hier besondere Fähigkeiten zusgeprochen werden, sei es Hilfe bei der Heilung oder beim Kinderkriegen, mag exotisch für einen deutschen Leser sein, ist aber Alltag in Taiwan und hat mich daher keineswegs überrascht. In diesen Tempeln wird dann üblicherweise einer der Götter aus dem chinesischen Götterhimmel in der Taiwanvariante angebetet, die genaue Religionspraxis ist dann taoistisch, konfuzianisch oder beides. Als Buddhismus kann man das wohl subsummieren, immerhin haben sie reichliche Verwendung auch für den dicken freundlichen Mann in den Tempeln. Wie dem auch sei, ich steuerte also den Wagen vorsichtig über den regennassen Freeway (Freeway, Highway oder wie auch immer) und freute mich, erstmals die kranke Kollegin wieder lachen zu hören, als meine Frau sich auf Chinesisch beschwerte, sie könne meine Langsamfahrerei kaum noch ertragen. Fast kann man da bereuen, wieder mit einem neuen Lehrbuch Chinesisch zu lernen, man versteht so viel. Meiner Frau wurde es zu bunt und sie dirigierte mich auf einen Parkplatz, wo sie kurzerhand das Steuer übernahm. Unser alter SUV schoss kurze Zeit später mit harter Beschleunigung auf die steil abfallende Auffahrt zum Freeway, wo es in der Kurve am Hügel auf den Freeway ging. Mit dröhnendem Motor raste der mit mir am Steuer so behäbige Wagen auf den vorausfahrenden Verkehr zu und überholte halb auf dem Seitenstreifen ein paar langsame LKWs, alles während der Regen auf die Scheiben prasselte. "Slooooooooowly!" rief ich, als sie auf die anderen Autos zuschoss und die beiden Kolleginnen auf der Rückbank kicherten vor Vergnügen.

 Schnell geschossen mit dem Fotohandy, halb das Objektiv verdeckt

Später übernahm ich wieder das Steuer und wir erreichten unser Ziel - hätten wir natürlich auch mit meiner Gattin am Steuer. Zu meiner Verblüffung entpuppte sich der Tempel als gewöhnliches Reihenhaus, nicht unähnlich dem, das wir vor kurzem noch selbst auf dem Lande hatten. Allerdings waren wir hier nicht mehr in der Nähe von Taipei, sondern 200 km oder dergleichen im Süden, südlich von Taichung. Das Reihenhaus hatte wie üblich einen überdachten Vorhof, hier wurden wir von den Tempelbetreibern in privater Atmosphäre empfangen und der Haushund, ein niedlicher kleiner Spitz, kläffte nach Leibeskräften und drohte uns allen in die Hacken zu beißen. Im Haus dann nichts sakrales, ein gewöhnliches Reihenhaus mit Mickymaus-Vorhängen im Innern und frisch aufgehängter Wäsche auf der Dachterrasse. Gleich neben der Dachterrasse war jedoch ein Andachtsraum. Hier war ein hölzerner Altar mit diversen Götterstatuen geschmückt, eine weiblich wirkende stark gebaute Gottheit thronte in der Mitte, umgeben von anderen Götterstatuen und einem großen goldenen Buddha. Die beiden Priester waren zwei Herren in mittleren Alter, der eine dick und kräftig, der andere von normaler Figur hinter einer gasbetriebenen Teetheke sitzend, im traditionell-chinesischem Oberhemd. Heißen Tee gab es für alle und dann verneigten sich die Gläubigen - zu meinem Erstaunen - nicht etwa wie sonst üblich in Richtung des Altars, sondern in Richtung der offenen Balkontüre zum grünen Garten des Reihenhauses hinaus. Ich gebe zu unauffällig hinaus gespäht zu haben, ob im Garten irgendeine Statue stand. Doch weit gefehlt, es war ein normaler grüner Garten und man blickte auf ein begrüntes Gewerbegebiet mit Fabrikgebäuden und entfernt liegenden dichten Laubwäldern mit ein paar Palmen dazwischen. Eine Landschaft fast wie in Nordeutschland am Rande eines Gewerbegebiets, nur eben mit ein paar Palmen. Auch zum Altar wurde sich später verneigt, wobei reichlich Räucherstäbchen abgebrannt wurden. Der Herr hinter der Teeküche gab manchmal ein lautes Rülpsen von sich, ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob es eine zeremonielle Bedeutung hatte, auch das habe ich schon erlebt in einem anderen Tempel im Süden, dort hatte ein behinderter Mann mit geschientem Bein Weihrauch eingeatmet, hustend-rülpsend ausgeatmet und dann eine Zukunftsprognose über meine Wenigkeit abgegeben.
Hier jedoch wurde zunächst unsere erkrankte Kollegin gesegnet, wobei sie stand und der kräftige Priester Weihrauch durch die Räucherstäbchen an ihren Körper brachte. Dabei stieß er ein Gebetsstakkato aus, das wie von nervösen Ticks unterbrochen war und von heftigem Kopfnicken begleitet war - offenbar in Richtung Trance gehend. Die erkrankte Kollegin wurde dann befragt und die zweite Kollegin schrieb dann einen längeren Text, der von dem kräftigen Priester kopfnickend diktiert wurde, auf einen gelben Zettel. Solche kann man entweder Verbrennen (wenn sie an Vorfahren gerichtet sind, soweit ich weiß, weil sie dann Eingang ins Jenseits finden sollen) oder bei sich tragen als eine Art Schutzzeichen, hier ging es natürlich um letzteres. Manche Teile wurden von der aufschreibenden Kollegin hinterfragt und der zweite Priester erklärte den Inhalt mit tiefer Stimme, wobei sein Rülpsen manchmal in den Satz einfloss und wie das Brüllen eines Löwen wirkte, so sehr passte es zur tiefen Stimme. Ich schreibe das alles hier nicht auf, damit es lustig wirkt, sondern als Schilderung für den interessierten Leser, wie es sich eben zugetragen hat. Ich weiß, dass man im Christentum eine viel sakralere Umgebung als ein Reihenhaus erwartet und andere Vorstellungen von Zeremonien hat, aber ich denke mal, die Wege zu Gott (den Göttern in diesem Fall) sind vielfältig und jeder muss einfach seinen eigenen finden.
Selbst habe ich schon oft über solchen privaten Tempel von oben herab berichtet, das will ich nicht leugnen. Die Leute leben von ihrer Religionsausübung und wenn sie dann von meiner Frau ein paar Taiwan-Tausender bekommen und dann noch Zukunftsvorhersagen und gänzlich unzutreffendes über meine Vergangenheit von sich geben, dann geht mir eben der nicht vorhandene Hut hoch. Aber hier ging es nicht um mich und auch nicht um Wahrsagerei. Und auch die christlichen Kirchen sind höchst wirtschaftliche Entitäten, Stichwort Vatikanbank.
Während unsere Gruppe nun die Göttin um Beistand für die erkrankte Kollegin bat, gab auch ich meine Wünsche für die Kollegin (freilich lautlos) zum Besten. Weil die zahlreichen hiesigen Götter bislang noch nie auf mich gehört haben, mich sogar beim Antwort-Würfeln im Tempel unter Schwiegermutters wütendem Blick einmal eine Stunde lang warten ließen auf die richtige Antwort, versuchte ich es diesmal etwas energischer. "Steh da nicht rum, tu was", mag Teil meines persönlichen Gebets gewesen sein, das gebe ich gerne zu.
Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass der Zuspruch durch die Priester, ihre Familie und ihre Begleitung der erkrankten Kollegin wieder Kraft gegeben hat, denn hinterher war sie wie ausgewechselt und schritt sichtbar gekräftigt die Treppe zum Auto hinunter, wo wir uns verabschiedet haben, als sie zu ihren Verwandten ins Auto stieg.
Mein persönlicher Wunsch für das neue Jahr und die nächste Zukunft ist daher fest vergeben. Ich wünsche der lieben Kollegin alles Gute, viel Kraft beim Kampf gegen die Krankheit und vor allen Dingen Gesundheit!


Nachtrag im Juli 2013:
Und was wurde draus? Hier den Update lesen: http://osttellerrand.blogspot.tw/2013/07/tolles-update.html

2 Kommentare:

Martin hat gesagt…

Hallo Rüdiger,

persönlich kennen wir uns nicht. Vor vielleicht zwei Jahren stieß ich aus Google auf Dein Blog. Ich lese es gerne weil es mir mit Wohnsitz in D Einblicke in das Land meiner Frau gibt. Einblicke eines Deutschen in Taiwan, die anders kaum zu erhalten sind. Daher schätze ich Artikel wie diesen. Danke.

Grüße an den fernöstlichen Rand der Weltscheibe

Martin

"Ludigel" hat gesagt…

Hallo Martin,

danke für das Feedback!

Ruediger