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Montag, Dezember 01, 2014

Kommunalwahlen in Taiwan: Prinzling entthront

Schwere Schlappe für die exdiaktatorische "KMT"-Partei Taiwans bei den Bürgermeisterwahlen - KMT verliert ihre Hochburgen Taipei und Taoyuan - KMT-Hoffnugsträger Sean Lien deklassiert



Wie unterschiedlich das Wahlvolk Taiwans von mir selbst ist, wird auch anhand dieses Posterchens einer Lokalkandidatin hier in Taipei-NeiHu deutlich, das in einer dicken Broschüre der Kandidatin lag. Als Deutscher kommt einem da wohl sofort die Vokabel "scheinheilig" in den Kopf, weil man unwillkürlich das nicht nur positive Image von Politikern mit der gebetsartigen Pose in Verbindung bringt. Auf ihre Wähler wird das sicher besser gewirkt haben.

Taiwan hat seine Lokalwahl hinter sich gebracht. Meine Frau, die sich vorgestern am Wahlsamstag trotz mittlerweile auch bei ihr eingetretener Magenschmerzen (vgl. diese FAQ zur schlechten Lebensmittelsicherheit und dem aktuellen Billigölskandal in Taiwan) zur Wahlurne geschleppt hat, hat das gewählt, was ihr Gewissen ihr befiehlt. Ich selbst kann als Ausländer (oder Adogah/Bignose, wie die Taiwaner gerne sagen) natürlich nicht an der Wahl teilnehmen. Ich habe in der Vergangenheit immer der KMT zutendiert, rein vom Verstand her, weil diese eher für eine friedliche Beziehung zur VR-China steht als die Konkurrenz von der DPP, die immer die taiwanische Unabhängigkeit vom chinesischen Festland betonen will. Auch der Megakorruptionsskandal des vorherigen taiwanischen Präsidenten Chen aus der DPP wirkt bei mir noch immer nach. Chen hatte einfach so ein unglaubliches Marathonkorruptionsspektakel veranstaltet, dass man eher von einem Amoklauf als von einer Affaire sprechen müsste. Unter anderen hatte der oft kehlig krakelende Mann es geschafft sage und schreibe einen Kaufhauskonzern aus dem Präsidentenpalast heraus zu erpressen. Auf solche Ideen muss man erst mal kommen.

Heute sitzt Chen im Gefängnis und die KMT hatte danach unter dem gegenwärtigen zumindest anfangs extrem prochinesischen Präsidenten Ma (KMT) eine Art Vereinigungskurs mit der VR-China gefahren (die VR-China bezeichnet Taiwan als ihr Staatsgebiet, obwohl das blanker Unsinn ist), bis dieser mehrfach ins Stocken geriet. Zuletzt durch die studentische Sonnenblumenbewegung, die das Parlament "Taiwans" (Taiwan hat formell den Staatsnamen "Republik China") besetzt hatte und damit prochinesische Wirtschaftsgesetze gestoppt hatte (hier der große Fotobericht dieses Blogs von damals: http://osttellerrand.blogspot.tw/2014/03/demo-in-taipei-mit-300000-menschen-oder.html).

Die Wahl war sicherlich etwas von dem eingangs erwähnten Lebensmittelskandal überschattet, insbesondere in Taipei. Weil hier der "KMT-Prinzling" und Bürgermeisterkandidat Sean Lien, Sohn des altgedienten Parteikaders Lien Chan das Problem hatte, dass sein Vater ein dicker Kumpel des Mannes war, der mit seinem toxischen und illegalen Billigöl den aktuellen Lebensmittelskandal Taiwans (und wohl auch meine Mangenschmerzen) ausgelöst hatte. Traditionell ist die KMT mit der Taipei-"Mafia" namens Bambusgang ("Bamboo Union") verwurzelt und ebenso mit Wirtschaft, Militär, Justiz und Polizei und steht daher korruptionsmäßig zwar eleganter, aber nicht wirklich sauberer dar. Ich nenne die KMT daher auch gerne "Partei der institutionalisierten Korruption", was es ziemlich genau trifft, wie ich finde.

Jedenfalls hat Sean Lien wohl im Wahlkampf auch grenzwertig surrealistische Vorschläge gemacht, wie etwa einen großen Friedhof in ein Wohnungsbauareal umzuwandeln (vgl. den Artikel von Klaus Bardenhagen, deutscher Journalist in Taipei: http://www.intaiwan.de/2014/11/27/sean-lien-wahlkampf-taipeh/).  Da sehr viele Taiwaner sehr abergläubisch sind, kann man sich hier nur vor Lachen am Boden wälzen. Das zeigt, wie sehr der KMT-Prinzling, dessen Vater sein Vermögen in Diktaturzeiten als Regierungsmensch gemacht hatte, vom gemeinen Volke abgehoben ist. Bürgermeister in Taipei wird nun ein parteiloser Chirurg, der für die DPP angetreten war, die so elegant ihr Filzimage etwas umschiffen konnte. Ich will das nicht alles aufschreiben, lesen Sie mehr dazu im erwähnten Blog von Klaus Bardenhagen: http://www.intaiwan.de/2014/11/30/taiwan-regionalwahlen-ergebnis-2014/

Sean Lien war sicherlich als künftiger Präsidentschaftskandidat vorgesehen von seiner Partei, in diesem Sinne ist er jetzt vielleicht als solcher und als Hoffnungsträger entthront worden, wo er doch die klassische KMT-Hochburg Taipei nicht gewinnen konnte. Und was sagte Jason Hu (KMT), der Bürgermeister der mitteltaiwanischen Großstadt Taichung dazu? Schuld sei nur die Jugend, die alles für selbstverständlich nehmen würde und die sauer sei, wenn man ihnen nur ein iPhone 5 schenken würde, weil sie dann lieber ein iPhone 6 hätten (http://www.taipeitimes.com/News/front/archives/2014/12/01/2003605691). Den Jason Hu habe ich einst selbst auf einem Businessklasseflug bei China Airlines erleben dürfen. Ein halbes Dutzend Stewardessen sprang um den korpulenten Mann herum, schob ihm ein Dutzend Kissen unter den Allerwertesten und ich konnte kaum eine Cola oder eine Decke bekommen, ging doch alles an Jason Hu und seine Begleiter. Den harten in der Realität verwachsenen Mann nehme ich ihm irgendwie nicht ab, dem Herrn Hu.

1 Kommentar:

"Ludigel" hat gesagt…

Gut gewählt, Taiwan! Ich konnte diesmal meinen persönlichen Bias nicht ganz zurückhalten, Politik geht halt auch durch den (immer noch grummelnden) Magen.