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Montag, März 25, 2013

Taipei 101 bei Nacht (Teil 1)


Ich muss zugeben, dass mir mein in diesem Blog häufig vorkommendes Geschimpfe über mein bisweilen slumartig wirkendes Wohnviertel langam selbst surrealistisch vorkommt. Erstmal haben sich viele Wohnungsbesitzer moderne Fensterfronten einsetzen lassen und die alten verrosteten Gitter entfernt, dann sind die Müllhalden zwischen den Häusern weg (nur in Ludigels Hinthofblick sieht man noch Müll auf den Vordächern lagern) und außerdem ist bereits so viel von dem ehemals sehr großen Viertel an der WenDe Road in NeiHu weggerissen, dass ich nur 50 Meter gehen muss, um in moderner Bebauung zu stehen. Moderne Wohnscheiden, Beton viel adretter als in den alten 70er-Häusern verbaut, neoklassizistische Nobelreihenhäuser und Beton- und Glasbauten von Büros. Taipei wandelt sich rasant. Wo ich mich 2004 noch über schmutzige Baracken an der Hauptstraße aufgeregt habe, sind heute u.a. eine Bentley-Vertretung und ein Burger King in adretten Fassaden nebst diversen Bankfillialien. Auch "Taipei 101", ehemals das höchste Haus der Welt und noch heute eines der höchsten, ist heute Teil eines noch im Bau befindlichen modernen Stadtzentrums, während es um 2004 herum noch wie ein moderner Riesenbau aus teilweise slumartigen Schlichthäusern ragte. Taiwan hatte in den 70ern sein Transistor-Wirtschaftswunder und hat heute eine Funktion als Computer-Ingenieurbüro der Welt und passt sich langsam auch optisch an. Ist das schade? Mag sein. Würde Rennovieren der alten Bauten reichen? Vielleicht, aber dann hätte man immer noch keine Bürgersteige, denn von den "Parkstreifen" am Fahrbahnrand wollen sich die Anwohner sicher nicht trennen, autoverrückt wie sie alle sind. Neue Nobelreihenhausviertel haben immer noch keine Bürgersteige, insbesondere die mit Security-Schranke davor. Da geht keiner zu Fuß, ist wohl der Gedanke.


Mit der "MRT"-Stadtbahn Taipeis, die auch immer noch ausgebaut wird und erst seit etwa 2 Jahren bei uns ins Viertel reicht, an der "City Hall"-Station ausgestiegen. Die ganzen Häuser um mich herum gab es vor ein paar Jahren hier noch gar nicht.

Positiv die vielen neuen Fußgängerzonen, wo es sonst in Taipei häufig nicht mal Bürgersteige gibt. Aber ergreift man die Gelegenheit zum ökologischen Neubau, viele Parks um die in Taipeo so oft gequälte und ausgemerzte Natur mit der modernen Stadtarchitektur zu versöhnen? Dumme Frage, natürlich nicht. Lampen an die Fassaden und schon solle es modern sein. Aber wenigstens ist alles sauber und man kann entspannt ohne Moped- und Autowüteriche zu Fuß gehen.

Wozu studieren die Leute eigentlich ihre eigene Kultur (wenn sie es denn tun) und Architektur, wenn sie am Ende doch nur die einst triste graue Schlichthaus-Betonlandschaft durch 80er-Jahres Betonarchitektur ersetzen? Aber gut, anders als im Westen sieht es auch nicht aus, auch wenn man da neuerdings vielleicht ein bisschen hübscher baut.


Beton und Lampen, aber immerhin sauber und rein und viel Platz zum flanieren und grübeln, was da wohl dran steht. Ein Schriftzeichen kann ich sogar lesen.

Hier ist schon die Spitze von Taipei 101 zu sehen, dem Ziel meines Ausflugs. Teuer ist es, das neue Taipei. In den teilweise noch in Bau befindlichen Straßen etwa locken Uhrengeschäfte mit Rolex, Tudor und Omega, nicht etwa mit einer profanen Tissot, für die ich mich interessierte. "Dior" steht am Wahrzeichen von "Free China", wie Taiwan manchmal genannt wird. So viel anders als Peking ist das also auch nicht, wirtschaftssystemisch gesehen.

 Fauler Zauber hier im Blog. Mit der Kamera umschmeichele ich die moderne Architektur und gebe textuell postmoderne Gesellschaftskritik a la Deutschland. Dabei habe ich mich in Wirklichkeit nur auf den Ausblick aus dem italienischen Restaurant im 86. Stock (oder dergleichen) gefreut. Und hatte Hunger.


Parks mit wenig Bäumen, dafür Beton und Licht. Sieht aber ganz nett aus.


Inhaltlich muss ich im Blog langsam umsatteln, vom Meckern über Schlichthäuser und fehlende Bürgersteige auf das Meckern über Betonkaufhäuser und öde leere Fußgängerzonen vielleicht.

 Ganz oben angekommen wunderte ich mich dann, wieso der Ausblick manchmal so milchig ist. Ach ja... W-O-L-K-E-N. Hier spiegeln sich Lüster und Servietten nebst Tellern im Fenster hoch über Taipei.



Von Essen in "Diamand Joe's" Italiener habe ich nicht so viel mitbekommen. Meine Roulladen war jedoch sehr gut, auch wenn manche Kollegen über ihre roten ganzen faustgroßen Krebse enttäuscht waren. Na ja, vielleicht wollten sie, dass sie noch weglaufen auf dem Teller statt sitzen zu bleiben. Ansonsten gab es wieder den Pseudo-Feinschmeckerhorror a la Taiwan. Irgendwelche Krusten-Meerestiere mit Käse auf dem harten Panzer. Weil Käsedrauf eben europäisch ist und der Taiwaner, der eh keinen Käse mag oder verträgt, diesen gleich mit dem Panzer entsorgen kann. Kein Wunder, dass das nicht schmeckt. Feinschmeckeressen heißt für viele Taiwaner eben Meeresgetier mit Panzer möglichst intakt auf dem Teller. Mag sein, dass so ein Italiener diesen Pseudo-Gourmet-Taiwan-Food nur etwas lieblos macht. Obwohl die rote Krabbe der Kollegin hinter mir noch aussah, als ob sie gleich loslaufen könne.

Zwischen 2000 und 4500 NT kostete so ein Menü, durch 40 in Euro. Wie immer sehr fischlastig wie alle Italiener in Taiwan. Ich hatte Carpacchio als Vorspeise und vergessen was das war, solange war ich nicht mehr bei richtigen oder halbrichtigen Italienern essen hier in Taiwan. Rohes Rind mit Salat offenbar. Pfui deibel.

Das sieht Supermann, wenn es aus den Wolken auf eine Tüte Stinky-Tofu nach Taipei einfliegt.

Im Restaurant selbt waren alle in weißen Hemden, ohne Krawatte (abgelegt) und mit schwarzen Hosen. Nur die Damen farbenfroh gekleidet, eine Barsängerin nebst Begleitung stand wie bestellt und nicht abgeholt neben dem Tresen und sang, alles waren natürlich viel zu cool um auf die Musik zu achten. Sehr viele Westler, etwa die Hälfte der Leute und der Rest gleich gekleidete Einheimische. Meine helle Hose war schon ein Sonderfall da oben.

Emsige Geister umdienen die Businessmenski über den Wolken am Tellerrand der Weltscheibe.


Unser Team fiel mit Jeans und Sweatshirts etwas auf, aber wir hatten ja auch einen eigenen Saal. Bei uns sind alles Hardware-Testleutchen, keine angloamerikanischen Manager. Ich war wie immer perfekt gekleidet, einfach die weiße Atemschutzmaske (Papier) aus der Einstecktuchtasche des Nadelstreifen-Jacketts gezogen und fertig.

Die möglicherweise echte Blueberry-Handtasche meiner Frau und meine Fototasche blicken auf die Stadt unter uns. Frau schimpfte über das Essen, ich knipste und murmelte "Hmmmmm..... Hmmmmmmm".

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